Die Systemfehler des Medizinbetriebs – aus der Sicht der im Krankenhaus Tätigen (1)

Lange habe ich hier nicht mehr geschrieben – das reale Leben hat einfach überhand gewonnen – die behält es auch weiter, aber die Unwegsamkeiten des Medizinbetriebes beschäftigen mich dennoch.

Die Ansprüche von Patienten und Angehörigen werden von Jahr zu Jahr größer. Wenn ein  Mensch in ein Krankenhaus, sagen wir aufgrund einer Gastroenteritis, in ein (Vorstadt-)Krankenhaus eingeliefert wird, fällt es nicht wenigen Angehörigen ein, der Stationsarzt könne doch bitte den Hals-Nasen-Ohren-Arzt hinzuziehen, weil Opa ja schon so lange schlecht höre. Diesem Wunsch wir oft  großer Nachdruck verliehen –  bis hin zu Beschwerden bei dem in beinahe allen Krankenhäusern vorhandenen Qualitätsmanager. Da darf der Stationsarzt dann antreten und sich rechtfertigen, wenn er den HNO-Arzt nicht gerufen hat.

Qualitätsmanagement ist eine sehr gute Sache, auch wir sind Dienstleister, aber der Trend geht aktuell in die Richtung „Der Angehörige ist König“  – und das nicht in Hinsicht auf die medizinische Qualität der Patientenversorgung sondern in Hinsicht auf die subjektiven Wünsche und Bedürfnisse der Angehörigen, denen meist in vollem Umfang statt gegeben wird. Wehe dem, der diesem Prinzip nicht Folge leistet. Wehe den Schwestern, die eine Patientenbrille in die Tasche eines Patienten packen, die dann vom Sohn des Patienten nicht sofort gefunden wird. Nach einem Anruf beim zuständigen Qualitätsmanager stehen Pflegedienstleitung, Stationsleitung und Schwestern Kopf, es wird die Brille gesucht – umsonst, versteht sich – , eine Rechtfertigung geschrieben. Jemand ruft im Altenheim an – ja, die Brille habe sich mittlerweile gefunden, natürlich sei sie in der Tasche gewesen. Eine Nachricht der Angehörigen erhält man selbstverständlich nicht, von einer Entschuldigung ganz zu schweigen. Schwestern und Ärzte stehen ohne Rückendeckung in freier Schusslinie der Angehörigen, alle müssen wir antreten und Abbitte leisten, auch dann, wenn wir im Recht sind. Wir dürfen angeschrien, des Diebstahls beschuldigt und beschimpft werden – antworten aber darf man nicht einmal zurückhaltend, nein  – man muß freundlich lächeln.

Ich habe nicht Medizin studiert, um Halbgöttin in Weiß zu sein, auch ein Arzt ist nur ein Mensch.  Das Ausmaß, in dem man Prellbock der Emotionen ist, hat ganz wesentlich zugenommen. Die Attraktivität der klinischen Tätigkeit hat proportional abgenommen. Noch kann ich nicht ohne meine Patienten auskommen – ich brauche die Arbeit am Patienten, um in meinem Beruf glücklich zu sein – das Fachgebiet aber werde ich nach Abschluß meiner Facharztausbildung zur Internistin wechseln.

Schlechte Gründe, einen Patienten in die Notaufnahme oder Innere Abteilung zu schicken

…sind zum Beispiel

  • Struma „zur OP“: Internisten operieren keine Struma! Zweckdienlich ist eine Terminvereinbarung mit einer entsprechenden chirurgischen Abteilung
  • Influenza-Schnellteste bezahlen wir doch nicht extra! – Wir auch nicht mehr! Man kann Verantwortung und Kosten ja weiterreichen, aber am Ende zahlen wir damit alle drauf! Wir schicken jetzt Material zur PCR (DNA-Nachweis) an das RKI (weil Schnellteste häufig falsch negativ sind)
  • V.a. Autoimmunerkrankung: hat in einer Gastroenterologie nur sehr wenig verloren (und ja, Menschen in ihren 20ern dürfen auch ambulant koloskopiert werden um eine chronisch entzündliche Darmerkankung nachzuweisen o. auszuschließen), wir betrachten es auch als durchaus ungezogen, sich anschließend darüber zu beschweren, daß die Abteilung dem Einweisungswunsch nicht entsprochen hat, sondern dem Patienten einen unmittelbaren Termin in der Rheumasprechstunde verschafft hat
  • V.a. Schlaganfall: gehört in eine Neurologie! (und nicht in ein Krankenhaus, das keine hat!)
  • V.a. intracerebrale Blutung: gehört am besten in ein Haus, das sowohl Neurologie wie auch Neurochirurgie sein eigen nennt!

Was Ihnen Ihr Arzt schon immer mal antworten wollte…

…aber aus Höflichkeit, Selbstdisziplin und dem Wissen, daß er dennoch in der besseren Situation ist, meist unterlässt.

Weswegen kommen Sie zu uns?
Patientenantwort: Das steht in den Papieren/ auf der Einweisung!
Glauben Sie, ich kann nicht lesen oder würde meine Zeit mit unnützer Fragerei vertun?? Dann aber besser nichts wie ab – von so jemandem ließe ich mich nämlich nicht behandeln
Ja, Lesen kann ich schon auch, nur haben Studien gezeigt, daß das Wichtigste, was ein Arzt für seinen Patienten tun kann, die ausführliche Erhebung der Krankengeschichte ist, da sie Diagnostik und Therapie bestimmt. Daher wäre es nett, Sie würden mir das  – trotzdem es in etwa auf der Einweisung/ den Papieren steht – schildern. Und das wird wahrscheinlich auch nicht das letzte Mal sein, daß Sie gebeten werden, Ihre Anliegen zu schildern.

Und dabei verschweigen wir denn auch, welchen Unfug viele Hausärzte auf die Einweisungen schreiben wie z.B. „Vorbefunde anbei“ (meist nicht auffindbar) oder noch besser „Befunde vorab an CA Meier-Müller-Schulze gefaxt“ – haha, wie soll man die finden?? Bestenfalls werden diese verlegt,  schlimmstenfalls weggeworfen

Welche Krankheiten sind denn bei Ihnen bekannt?

Patientenantwort: Keine.

Nehmen Sie Medikamente ein?

Patientenantwort: Ja, Blutdrucktabletten und noch eine ganze Menge  anderer…

Und was – glauben Sie – wird damit behandelt? Tabletten nimmt man ja in der Regel nicht, weil man gesund ist….

Also wird ein hoher Blutdruck behandelt?

Patientenantwort: Der ist jetzt normal

Jaaa, aber unter Medikation ist es immer noch ein Bluthochdruck, der da behandelt wird.

Welche Medikamente nehmen Sie denn außerdem noch ein?

Patientenantwort: Oh, noch eine ganze Menge, aber die Namen habe ich jetzt vergessen..die einen sind klein und grün, die anderen rosa…

Glauben Sie wirklich, wir würden die Tabletten an Form und Farbe erkennen oder anordnen? Und was stopft Ihr eigentlich alles ohne Kenntnis in Euch hinein??

Haben Sie eine Medikamentenliste dabei?

Patientenantwort: Nein – hat mein Hausarzt Ihnen keine mitgegeben? Dann müssen Sie da wohl anrufen!

Klar, am Mittwoch Nachmittag/nachts um 3 Uhr wird der gerade seine Praxis offen haben. Wenn ich das für jeden Patienten machen muss kann ich meine Arbeitszeit am Telefon verbringen statt mit Patientenbehandlung

Aber da wir ja ohne Medikation keine Behandlung durchführen können, rufen wir natürlich häufig genug in der HA Praxis an…und verkneifen uns die giftigen Kommentare auch da.

Wir nehmen Sie dann stationär auf.

Patientenantwort: Was?! Das hat mir aber keiner gesagt!

Aber Ihr Hausarzt schickt Sie mit einer Einweisung zu uns und möchte, daß wir Magen- und Darmspiegelung, zu denen wir Ihnen raten,  stationär durchführen.

Patientenantwort: Das hat er mir aber nicht gesagt.

Aber mir hat er es aufgeschrieben

Alternativ kann es auch so laufen:

Wir nehmen Sie dann stationär auf.

Patientenantwort: Aber in 3 Tagen werde ich wieder entlassen hat mein Hausarzt gesagt!

Klar, der kann ja auch die Ergebnisse der Diagnostik voraussehen, die er durchführen lassen möchte und kennt die Krankenhausstrukturen schlecht genug oder lügt gut genug, um das zu behaupten…

Sehen Sie, ich kann Sie jetzt mit einer der häufigsten Arztlügen abfinden, um meine Ruhe zu haben, aber wann Sie entlassen werden, hängt vom Ergebnis der Diagnostik ab, die wir durchführen und die kann ich nicht vorhersehen.

Meist hat man Glück, und es sind nur ein oder zwei der Fragen, die derart unkonstruktive Antworten ergeben – und natürlich gibt es in der Welt auch „fitte“ Hausärzte, die Vorbefunde tatsächlich adäquat mitgeben, manchmal sogar anrufen, um die unvermeidlichen Kommunikationsprobleme zu umgehen. Patienten geben nahezu niemals korrekt wieder, was entweder wir oder die Hausärzte gesagt haben und hören wie die meisten Menschen nur das, was sie hören wollen…weswegen manche von uns denn oft die direkte Kommunikation mit den in der Wildnis tätigen Kollegen suchen. Oh, und ja, eine Wildnis muß man das Gesundheitssystem schon nennen…


Über volkstümliche Irrtümer in Bezug auf moderne Medizin (3)

Nach einem weiteren Weihnachtsdienst bin ich wieder um einige Erfahrungen reicher geworden; nicht nur, daß man unmittelbar nach Auftreten der ersten Symptome eines handelsüblichen grippalen Infektes (wie z.B.: Fieber, Kopf-und/oder Gliederschmerzen) eine Notaufnahme aufsucht (vorzugsweise am 24.12. in dem Irrglauben, das täte sonst ja keiner), nein es geht noch besser. Hier also mein Fazit:

Wegen folgender Symptome sollte man sich nicht in einer Notaufnahme einfinden:

  • Obstipation (Fehlen von Stuhlgang) seit 8 Tagen, ohne Bauchschmerzen (die Weihnachtsgans war ja noch reingegangen)
  • Umknicken mit dem Fuß ohne Schmerzen, Funktionseinschränkung oder sonstige Beschwerden (und weil man mit dem Fuß umgeknickt ist, muß man auch keinen Notarzt alarmieren – der hat besseres zu tun)
  • Gastroenteritis seit 3 h (oder länger) – insbesondere sollte man den KV-Notdienst dann aufsuchen, wenn man im Gaststättengewerbe arbeitet – dann braucht man eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, welche die Notaufnahme nicht ausstellen darf )und ja, ich weiß, daß ich mich hier wiederhole – aber ist immer noch ein Dauer…brenner)

Aber es geht noch besser: es gibt Menschen, welche wegen Schmerzen und Sensibilitätsstörungen Notaufnahmen kleiner Krankenhäuser aufsuchen – das Ich-wohne-nicht-weit-weg-und -bin-mal-eben-vorbeigekommen-Syndrom. Wenn man solchen Menschen die Vorstellung in der nächst größeren Klinik empfiehlt (wegen möglicherweise drohender Querschnitttslähmung) rümpfen sie entsetzt die Nase und bemerken, das müßten sie ja noch überlegen, die Klinik sei Ihnen ja nun doch zu weit weg – da fragt sich dann der Diensttuende, welchen Zweck die Vorstellung hatte und welche Intensität die Beschwerden wirklich haben.

Und noch eine Bemerkung an Angehörige von Patienten – in dem Wissen, daß man Information über den Zustand der kranken Angehörigen bedarf und das Gesundheitssystem nicht dazu neigt, diese systematisch weiterzugeben. Es macht keinen Sinn, an einem Feiertag Arztgespräche mit Ärzten zu verlangen, die für die Notaufnahme und alle Stationen verantwortlich sind und die Patienten, die sie zuvor nicht selbst betreut haben, nicht kennen. Besonders unverschämt erscheint ein solches Verhalten dann, wenn der betreuende Doktor an jedem vorangegangenen Werktag mit (anderen) Angehörigen desselben Patienten gesprochen hat (und ja, man kann auch mit den zuvor informierten Angehörigen sprechen).
Auch dann, wenn wirklich kranke Angehörige von einem Krankenhaus in ein anderes verlegt werden, macht es keinen Sinn, in Krankenhaus B anzurufen und sich nach deren Zustand zu erkundigen, wenn sie dort noch nicht einmal eingetroffen sind!

Communication Problems

Im Krankenhaus gibt es sicher mehrere Kommunikationsschwierigkeiten. Eine davon ist mir in den letzten Monaten sehr deutlich geworden.

Der Arzt – mit viel Engagement und Energie – erklärt etwas, kann aber trotz der guten Absicht die Fachsprache nicht ganz beiseite lassen und setzt die Kenntnis von Zusammenhängen voraus, über die der Patient jedoch nicht verfügt. Der Patient versteht die Fachsprache nicht wirklich und damit auch nicht, was der Arzt von ihm möchte oder – schlimmer noch – wo die Gefahren seiner Krankheit liegen.Daß der Zeitdruck bei schlechter Besetzung diesem Problem keine Abhilfe schafft, kommt noch hinzu.

Sicher waren mir beide Tatsachen klar, als ich in den Beruf gestartet bin. Aber als ich vor ein paar Monaten mehreren Bekannten mit hohem Bildungsniveau für mich einfache und klare Zusammenhänge  – ohne den Gebrauch von medizinischem Vokabular – nicht begreiflich machen konnte und sie mir erklärten, ich müsse mich meinen Patienten noch einfacher ausdrücken, habe ich das versucht – mit Erfolg. Die Mehrheit meiner Patienten weiß jetzt, was ich erreichen möchte und was sie dafür tun müssen. Sie fühlen sich im wesentlichen gut betreut und ich habe verständige Kooperationspartner bei meiner Diagnostik.

Hygienestandards im Vergleich

Aus dem Wohnheim eines europäischen Krankenhauses (vor einigen Jahren selbst gesehen):

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